In den Artikeln über Führung ging es in letzter Zeit meistens darum, den Mitarbeitern Gestaltungsspielräume einzuräumen, mehr Aufgaben zu delegieren, auch mal einen Fehler in Kauf zunehmen, usw. Tendenz: die Leute machen lassen, statt detailliert jeden Schritt vorzugeben und hinterher engmaschig zu kontrollieren. Das Negativ-Beispiel war meist der autoritäre Patriarch, dem man nichts recht machen kann und der im Zweifelsfall auch mal einen Mitarbeiter vor der kompletten Mannschaft runterputzt. Das ist natürlich kein Vorbild und wir wollen das auch nicht schönreden. Das Resultat dieses Führungsstils ist negativ. Das Team verfällt in den Dienst-nach-Vorschrift-Modus, jeder tut nur noch das, was ihm gesagt wird, nicht weniger, aber auch nicht mehr und die Fluktuation ist hoch. Damit sind wir weit weg vom Idealbild des Mitarbeiters, der eigenverantwortlich denkt und handelt.
In unserer Beratungspraxis haben wir allerdings festgestellt, dass auch das Gegenteil von autoritärer Führung oft schlimme Auswirkungen hat, besonders wenn wir es mit einem Alleingeschäftsführer in kleinen und mittleren Unternehmen zu tun haben. Der sogenannte Laissez-Faire-Stil kann ein Team auf Dauer komplett paralysieren, weil es in Firmen, deren Chef sozusagen abtaucht, und die Zügel ganz locker schleifen lässt, aus verschiedenen Gründen zu folgenden Negativentwicklungen kommt:
- Es gibt zwar Regeln, aber …
In den meisten Fällen gibt es in solchen Unternehmen allgemeinverbindlichen Regeln. Auch die Abläufe sind klar definiert, es fehlen aber oft Verhaltensgrundsätzen und demzufolge auch der korrigierende Eingriff bei Verstößen. Solche Chefs versuchen, sich bei kontroversen Themen rauszuhalten und quasi neutral zu bleiben. Außerdem haben Führungskräfte mit diesem Profil die Neigung, zu jeder Regel auch Ausnahmen zuzulassen. Wenn zum Beispiel offiziell der Arbeitsbeginn punkt acht Uhr ist, aber ein Drittel der Belegschaft irgendwelche Ausnahmen nutzen darf, ist das eine Ungleichbehandlung und wird als ungerecht empfunden. Anderes Beispiel: Wenn der Chef bei einem Streit im Team für beide Parteien Verständnis äußert, aber weder eine Entscheidung trifft noch auf klare Regeln verweist, kann aus einem zunächst harmlosen Streit eine unendliche Geschichte werden. Und Beispiel Nummer drei: Haben die Leute einmal gelernt, dass man durch geschicktes Taktieren persönliche Privilegien ergattern kann, führt das zu Verteilungskämpfen und neuen Teamkonflikten.
- Machtvakuum
Zeigt die Führungskraft keine Führungsstärke, dann wird die fehlende Autorität sehr schnell als Machtvakuum empfunden. In dieses Vakuum stoßen dann die Leute mit der größten Persönlichkeitsstärke (oder der größten Frechheit) vor und ermächtigen sich selbst zum „Chef“ schwächerer Teammitglieder oder genehmigen sich persönliche Sonderrechte. Schaut der Chef da zu, ohne einzugreifen, führt das zu offenen oder versteckten Konflikten, zu Lagerbildung und zur Zerstörung des Teamgeistes. - Strategiedefizit
In Firmen mit unsichtbarer Führung liegt auch meistens ein Strategiedefizit vor. Das hat zur Folge, dass Entscheidungen nach Tagesform getroffen werden, ohne dass eine nachvollziehbare Begründung zu erkennen wäre. Heute so, morgen so! Diese Entscheidungslotterie führt zu Frustration, Söldnermentalität und allgemeiner Orientierungslosigkeit. Dadurch sinkt die Identifikation mit der Firma auf den Nullpunkt, die Loyalität erodiert komplett. Eine typische Aussage ist dann: „Wir sind alle nur hier, um Geld zu verdienen, mehr interessiert uns nicht.“ Die nicht spürbare Führung wird der Führungskraft angekreidet, sie wird als Person offen infrage gestellt.
4. Jeder gegen jeden
Zum Schluss ist kein Team mehr zu erkennen. Jeder verfolgt nur noch seine eigenen Interessen, niemand hat mehr das Wohl der Firma im Auge. Die Führung ist leicht zu ignorieren, hat man sie vorher ja auch kaum wahrnehmen können. Die Belegschaft mutiert zu einem Haufen marodierender Söldner, die mit allen Mitteln, auch mit unsauberen, für die eigenen Vorteile kämpfen und denen sonst alles egal ist. Dazu kommt oft noch eine gehörige Portion Neid auf die Inhaberfamilie, nach dem Motto: „Warum soll ich mich hier kaputt schuften? Damit der Chef ein dickes Auto fährt und ein tolles Haus hat?“
Fazit: Führung muss spürbar sein, sonst kann kein Team funktionieren. Ja, der Führungsstil muss zur Führungskraft passen. Dabei sollte man aber einen großen Bogen um den autoritären Stil und um den Laissez-faire-Stil machen: Autoritär führt zu Stagnation, Laissez-faire führt in den Abgrund!
In die Laissez-Faire-Falle tappen vor allem junge Führungskräfte, die es anders machen wollen als die Gründergeneration. Aus der guten Absicht wird bei falscher Dosierung des Freiheitsgrades das genaue Gegenteil dessen, was beabsichtigt war. Dann herrschen Enttäuschung und Ratlosigkeit, und es ist schwer das Ruder herumzureißen. Aber jeder kann sich ändern und es beim zweiten Versuch besser machen. Das Gewähren von Freiräumen darf nicht zum Verschwinden der Führung führen. Wie so oft macht auch hier die Dosis das Gift. Führung muss spürbar sein. Ein Chef, der nicht als solcher wahrgenommen wird, ist eine schlechte Variante. Hin und wieder muss man auch mal „klare Kante“ zeigen.
Wer sein eigenen Führungsverhalten testen möchte, findet hier einen Test, der zeigt, welchen Führungsstil man vorzugsweise anwendet und wie die Mitarbeiter die Führung erleben.