Wenn wir Konflikte und die daran Beteiligten besser verstehen wollen, damit die Konfliktlösung gelingen kann, ist ein Blick auf das sogenannte Dramadreieck hilfreich. Es hilft uns, zu erkennen, welche Rollen die Beteiligten einnehmen und wie sie damit im Laufe des Konfliktes umgehen. Und Rollenwechsel sind dabei durchaus normal. Aber fangen wir mal vorne an.
Was ist ein Dreieck? Eine geometrische Figur, die von drei geraden Linien begrenzt wird. Was ist ein Drama? Ein Oberbegriff für Texte mit verteilten Rollen.Was passiert, wenn sich diese beiden Begriffe addieren? Dann kommt als Resultat das Drama-Dreieck von Stephen Karpman (amerik. Psychologe) heraus.
Karpman beschreibt grundlegende Beziehungsmuster zwischen Menschen wie sie schon in Sagen, Märchen und dem griechischen Drama zu finden sind. Es geht dabei um das Hin- und Herschieben von Verantwortungen, Schuldzuweisungen, Enttäuschungen und um das schlechte Gewissen.
Bereits sehr früh in unserem Leben lernen wir, bestimmte Rollen einzunehmen, in denen wir glauben, besonders akzeptiert zu werden. Karpman hat diese drei Rollen beschrieben: Verfolger, Retter, Opfer. Die Einnahme einer dieser Rollen soll den Kommunikationspartner dazu verführen, die dazu komplementäre Rolle einzunehmen. Deshalb spricht er auch von manipulativen Rollen. Wann immer wir mit ungelösten Emotionen konfrontiert werden, nehmen wir in Konflikten eine der Drama-Rollen ein. Das passiert ganz von allein durch unsere Vorgeschichte, die uns geprägt hat.
Alle drei Rollen im Drama sind also erlernte Muster, die unsere Glaubenssätze über uns selbst, andere und unsere generelle Sicht auf das Leben prägen. Glaubenssätze sind fest verankerte, innere Überzeugungen, die unser Verhalten und Handeln prägen. Und zwar in aller Regel, ohne dass wir uns ihrer bewusst sind. Sie beruhen auf Erfahrungen in und Mahnungen aus unserer Vergangenheit und sind mit Entscheidungen verknüpft, die wir im Zusammenhang damit gefasst haben. Hier ein paar Beispiele:
- Ich bin nicht gut genug
- Andere können das besser als ich.
- Das bringt doch eh nichts.
- Das ist alles so anstrengend.
- Andere sind schöner als ich.
- Wer nicht arbeitet, darf auch nicht essen.
Schauen wir uns jetzt einmal die drei Rollen genauer an:
Das Opfer
Das Opfer hat die mächtigste Rolle im Drama. Es lebt in der grundsätzlichen Haltung von: „Ich bin nicht o.k.“. Um dafür stets Bestätigung zu bekommen, hält das Opfer eifrig Ausschau nach einem Verfolger und einem Retter. Es hat die Macht, aus jedem Menschen einen Verfolger zu machen. Nehmen wir an, der Ehemann sagt zu seiner Frau: „Die Sauce ist pikant.“ Aus dieser simplen Aussage kann sich das Opfer ein vollwertiges Drama erschaffen: „Den ganzen Vormittag war ich mit Kochen beschäftigt. Ich habe eingekauft, das Wurzelgemüse geputzt und klitzeklein geschnitten, die Knochen geröstet, Wein und Fond angegossen, stundenlang gerührt, alles durchgesiebt, aufgekocht und mit Butter montiert. Und jetzt schmeckt ihm die Sauce nicht. Pikant! – Immer hat er etwas an mir auszusetzten. Egal, wie sehr ich mich bemühe, es hat einfach keinen Sinn. Warum ist nur jeder so gemein zu mir? Keiner sieht, wie ich mich die ganze Zeit anstrenge. Immer macht er mich fertig…“ Und schon hat das Opfer den Ehemann zum Verfolger gemacht. Dabei hat der noch nicht einmal gesagt: „Die Sauce ist mir zu pikant.“ Wir wissen auch gar nicht, ob ihm vielleicht pikante Sauce ganz besonders gut schmeckt. Ein Opfer kann aber nicht nur Menschen zum Verfolger oder Retter machen. Umstände sind für Opfer beliebte Schuldige. Wir werden immer dann zum Opfer der Umstände, wenn Dinge in unserem Leben passieren, und wir nicht in der Lage sind, diese Dinge zu akzeptieren. Wir sind Opfer vom Wetter, vom Geld, von der Zeit, von der Wirtschaftslage.
Daran erkennt ihr Opfer:
Sie sind/geben sich hilflos, tun sich selbst leid, hoffen, dass sich von allein etwas ändert, haben Angst, trauen sich nicht, geben schnell und gern nach, passen sich an, unbewusst auf der Suche nach einem Retter oder Verfolger, vermeiden (manchmal um jeden Preis) Verantwortung. Opfer verfügen über viel Macht, da ohne sie das Drama-Dreieck nicht funktioniert!
Der Verfolger:
„Ich bin o.k. –Du bist nicht o.k.“- das ist die Haltung, aus der Verfolger ihre Rolle wahrnehmen. Verfolger gewinnen ihren Selbstwert, indem sie sich über andere erheben. Andere kritisieren, ihnen zeigen, warum sie falsch liegen, mit dem, was sie glauben oder tun, und sogar andere zu bestrafen – das ist des Verfolgers Fachgebiet. Klar, dass ein Verfolger ohne Opfer nicht existieren kann. Bleiben wir beim Beispiel mit der pikanten Sauce. Der Mann sagt: „Die Sauce ist viel zu scharf, wie kann man nur so viel Cayennepfeffer da reingeben? Du kannst wirklich gar nicht mehr kochen.“ Das hat nur dann einen dramatischen Effekt, wenn die Frau in die Opferrolle schlüpft. Wenn bei ihr jedoch keine Emotionen entstehen, keine alten Verletzungen aufreißen und sie erwachsen reagiert, wird sie etwa Folgendes sagen: „Tut mir leid, dass dir die Sauce zu scharf ist. Mir schmeckt die so!“. Dann läuft der Verfolger mit seinem Angriff ins Leere. Ohne Opfer kein Verfolger. So simpel ist das.
Daran erkennt ihr Verfolger:
In kritischen Situationen oder Konflikten greifen sie an, schüchtern ein, stellen rhetorische und/oder inquisitorische Fragen, taktieren, wecken Schuldgefühle, gehen auf Distanz, betonen hierarchische Unterschiede. Verfolger fühlen sich überlegen und werden darin durch die Menschen, die sich zu ihren Opfern machen, immer wieder bestätigt. Der Verfolger verwechselt verbale Gewalt mit Macht.
Der Retter
Auch wenn es erstmal schwer vorstellbar ist: Der Retter nimmt die gleiche Position ein wie der Verfolger: „Ich bin o.k. – Du bist nicht o.k.“. Es ist nur nicht so offensichtlich wie beim Verfolger, denn von außen gesehen hilft er seinen Mitmenschen. Das ist ja in der Regel etwas Gutes, weshalb der Retter in seiner Rolle besser aussieht als der Verfolger. Dabei sendet er die gleiche Botschaft aus: „Ich tue das, wozu du nicht imstande bist.“ Ein Retter hilft ungefragt. Niemand hat ihn darum gebeten. Manchmal hilft er sogar, obwohl er gar nicht helfen soll. In Bezug auf das Saucen-Beispiel: „Die Sauce ist pikant“. nimmt der Retter ohne näheres Nachfragen den Teller weg und gibt dem Mann eine neue Portion ohne Sauce. Dabei hätte unser Ehemann möglicherweise gerne die pikante Sauce gegessen. Wenn er allerdings kein Opfer ist, wird er sich den Teller nicht wegnehmen lassen. Er wird freundlich sagen: „Danke für deine Hilfe, aber mir schmeckt die pikante Sauce.“ Prompt hat der Retter niemanden mehr, den er retten könnte. Auch hier gilt: Wo kein Opfer ist, gibt es keinen Retter.
Daran erkennt Ihr den Retter:
Sie „meinen es immer gut mit anderen“, lassen ungern Spannungen aufkommen, geben unaufgefordert gute Ratschläge. Durch ihre Hilfe machen Retter andere abhängig, um selbst als die Starken dazustehen. Retter erwarten Dankbarkeit und – falls sie diese nicht bekommen – wenigstens das Gefühl „Undank ist der Welten Lohn“. Ein Retter verwechselt retten mit helfen.
Jeder von uns kennt alle Rollen im Drama-Dreieck und kann sie einnehmen: mit sich allein, im Dialog, in der Gruppe etc. Oft bevorzugen wir eine der drei Rollen. Hier noch ein kleines Beispiel aus dem Arbeitsleben:
Zwei Mitarbeiter streiten über eine Arbeitsanweisung ihres Chefs. Einer ist Opfer, weil er die Entscheidung so wie vom Chef vorgegeben, umsetzen möchte. Der andere ist Verfolger, weil er die Nachteile dieser Vorgaben sieht und sie deshalb in Frage stellt und das durch lauthalse Vorwürfe dokumentiert. Nun kommt der Chef dazu und versucht den vermeidlichen Streit zu schlichten (Retter). Dann verbünden sich die beiden Mitarbeiter und greifen den Chef an. Sofort kommt es zum Rollenwechsel: aus dem Chef wird das Opfer; aus den beiden Mitarbeitern zwei Verfolger. Dieser ständige Switch = Rollenwechsel gehört zum Spiel.
Tja, und wie kommt man nun raus aus dem Drama-Dreieck. Dazu hat Stephen Karpman zwei Vorschläge. So kann man dem Drama-Dreieck den Wind aus den Segeln nehmen:
Erstens indem durch das eigene Verhalten keine anderen Personen zum Drama eingeladen werden.
Zweitens indem man auf Einladungen von anderen nicht mehr eingeht, also:
- Wahrnehmen, ob ein Drama-Spiel gespielt wird.
- Sachlich überprüfen, was gespielt wird und in welcher Rolle man selbst dabei ist.
- Gehörtes spiegeln.
- Spontan und ohne anzuklagen sagen, welches Gefühl man gerade hat.
- „Ich-Botschaften“ senden.
- Offene Fragen stellen.
- Antworten geben, die innerhalb der Rolle nicht erwartet werden.
- Rolle verlassen, also:
- Opfer: aufhören, sich selbst anzuklagen oder zu bejammern.
- Verfolger: andere weder offen noch verdeckt ins Unrecht setzen.
- Retter: Fähigkeiten und Potenzial anderer wahrnehmen.
Das Modell des Drama-Dreiecks kann uns helfen, uns besser kennenzulernen. Ob Ihr eine bevorzugte Rolle habt, könnt Ihr mit dem Test herausfinden. Bitte hier downloaden!