Wie viele bin ich – oder habt Ihr schon mal was vom „inneren Team“ gehört?

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Wer unseren Blog oder unsere Bücher kennt, weiß, dass wir beim Thema „Gute Kommunikation“ gerne auf das Kommunikationsquadrat von Friedemann Schulz von Thun zurückgreifen. An diesem Tool lässt sich wunderbar und nachdrücklich erklären, worauf es im Gespräch miteinander ankommt und was alles schief gehen kann. Der in Hamburg ansässige Kommunikationsexperte hat noch andere wertvolle Modelle entwickelt. Eines davon – das innere Team – möchten wir Euch heute ein wenig erläutern.

Der Grundgedanke:
Wir kennen das: Wenn sich zwei oder mehr Personen in der Diskussion oder gar Konflikt zu einem Thema befinden, treten unterschiedliche Sichtweisen und Vorstellungen zutage. Und manchmal fällt es uns schwer, den Standpunkt des jeweils anderen zu verstehen. Auch in unserem eigenen Innenleben treten solche Konflikte auf, wie schon Goethe sagte: „Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust“.

Beim von Thun‘schen Modell zum „inneren Team“ geht es um folgenden bildhaften Vergleich: In jedem von uns stecken eine Leitungsperson und ein Team. Die Leitungsperson ist das Oberhaupt und die Person, die unsere Entscheidungen trifft. Das außerdem in uns wohnende Team steht für unsere innere Vielfalt; auch innere Pluralität genannt. Ein Beispiel: In mir hat in der Regel die zuversichtliche Marianne das Kommando und großen Einfluss auf meine (Bauch-)entscheidungen. Das geht auch meistens glatt. Aber dann streiten sich auch schon mal die pessimistische mit der ängstlichen, die ungeduldige mit der misstrauischen und die perfektionistische koaliert gerne mit der „es muss alles professionell sein“-Marianne. Bei anderen Gelegenheiten – sagen wir es geht um Helmut – ist in aller Regel die liebende Ehefrau die Leitungsperson, oft begleitet von der fürsorglichen, fast krankenschwester-ähnlichen Marianne. Letztere kann manchmal sehr freundlich und manchmal wie ein Stationsdrachen daherkommen. Merkt Ihr, worauf ich hinauswill?

Die inneren Teammitglieder sind nichts anderes als unsere unterschiedlichen Gefühle, Bedürfnisse, Werte oder Ansichten und machen unsere innere Pluralität aus. Stehen diese im Widerspruch oder Wettstreit miteinander, können sie uns unzufrieden oder gar handlungsunfähig machen.

Oft sind uns unsere inneren Teammitglieder nicht oder nicht alle bekannt. Mit dem Modell des inneren Teams holen wir sie ins Bewusstsein. Das geht mit Hilfe einer Visualisierungstechnik – konkret wird jeder „Charakter“ mit einem dafür typischen Merkmal gezeichnet. Als Resultat hat man ein Bild, das Teamchef und Teamkollegen vereinfacht darstellt. Jetzt höre ich Euch schon sagen. „Ich kann aber nicht zeichnen!“. Versucht es, es kommt nicht darauf an schön zu zeichnen, sondern so, dass Ihr Eure Teammitglieder eindeutig erkennt. Und stellt jedem eine typische Aussage zur Seite. Es ist egal, wie die Zeichnung aussieht, wichtig ist, dass ihr erkennt und wisst, wer mit im Spiel ist.

Das Innere Team: Vorgehensweise und Schritte
Stellt Euch vor es geht um eine wichtige Entscheidung. Nehmen wir unser echtes Beispiel: „Geben wir PowerPaare nun ab, oder machen wir noch ein Jahr weiter?“ Als wir dazu mit dem Modell des „inneren Teams“ gearbeitet haben, hielten wir zunächst die konkreten Fragestellungen fest:

  • Was genau wollen wir klären?
  • Machen wir noch ein Jahr weiter oder nicht?
  • Geben wir ab oder nicht?
  • Wann geben wir ab?
  • An wen geben wir ab?

Dann riefen wir die jeweils inneren Teammitglieder zusammen. Jeder benannte sein Oberhaupt und weitere wichtige Aspekte, Gefühle, Werte oder Persönlichkeitsanteile, die für Helmut und Marianne bei der Fragestellung eine Rolle spielten. Jeder Gesichtspunkt wurde durch ein Teammitglied vertreten. Es wurden Strichmännchen oder Symbole skizziert und jedes Mitglied bekam seinen Namen und einen Schlüsselsatz. Je genauer jeder seine jeweiligen Teammitglieder beschreibt oder charakterisiert, desto klarer ist deren Rolle und Einfluss.

Einige sehr gern anwesende Teammitglieder:
Der Ungeduldige / die Ungeduldige
Die Perfektionistin / der Perfektionist
Der Antreiber / die Antreiberin
Die Kritikerin / der Kritiker
Die Ängstliche / der Ängstliche

Auch wenn peinliche oder unangenehme Teammitglieder auftauchen, heißt sie willkommen. Sie gehören zu Euch und haben einen wertschätzenden Namen verdient. Kein Team-Mitglied mobben und zum Beispiel als Versager oder Korinthenkacker bezeichnen, o.k.?

Wenn jeder sein inneres Team beisammenhat, kann es losgehen. Entdeckt Ihr im Laufe Eurer Diskussion und Klärung, dass sich da noch jemand nachträglich meldet, darf er/sie auch noch als „Spätmelder“ dabei sein. Zweck und Ziel der Teamkonferenz ist es, ganz genau darauf zu hören, was die einzelnen Mitglieder sagen und ihr Wechselspiel wahrzunehmen.

  • Welches Teammitglied steht jeweils vorne?
  • Welches Mitglied hat das Sagen?
  • Wer hält sich zurück?
  • Wo liegen die Konflikte?
  • Wo liegen die Wiedersprüche?
  • Gibt es Teammitglieder, die einander besonders im Weg stehen, oder sich gegen andere verbünden?

Bei uns war es schon hilfreich und ein erster Schritt zur Klärung, als unsere beiden Teams visualisiert auf dem Tisch lagen. Unsere Selbstklärung kam dadurch in Gang.

Arbeiten mit dem inneren Team: Unser Beispiel

Die Ausganglage bei Helmut: Er möchte, dass wir unser Konzept auslaufen lassen und ist überzeugt, dass es niemanden gibt, der die Idee weitertragen möchte. Zwar hat er noch viel Freude an den Workshops, aber seine Kondition lässt nach. Außerdem ist die Akquisition für Workshops oder Buchverkäufe in Zeiten wie diesen schwieriger als sonst. Er mag nicht mehr am Schreibtisch sitzen und will mit 72 endlich seinen Ruhestand genießen.

Die Ausgangslage bei Marianne: Sie versteht Helmut auf der einen Seite gut. Aber sie hat noch so viele Ideen wie man PowerPaare auffrischen und erweitern kann. Und sie will ihr „Baby“ nicht so sang- und klanglos sterben lassen. Die vielen Unternehmerpaare, die in der gleichen Situation sind wie Helmut und Marianne fast 35 Jahre waren, brauchen ein solches Angebot. Davon ist sie überzeugt. Und sie braucht die Kontakte und Begegnungen.

Unsere innere Teamsitzung bringt Klarheit

Helmut:
Das Oberhaupt – Der (Möchte-gern)-Ruheständler: Ich bin am Ende meines Berufslebens und meiner Kräfte, ich brauche mehr Ruhe! Ich will mir nicht ausmalen, was das an Aufwand bedeutet, potenzielle Nachfolger einzuarbeiten und eine geregelte Übergabe zu machen.

Der Hinterfrager: Wie soll das denn gehen, dass wir Nachfolger finden? Wer sucht die aus, wo bekommen wir die her, was ist alles dafür zu tun, schaffen wir das bis zum 31.3.2021?

Der Marianne-Versteher: Ich kann verstehen, dass es Dir das schwerfällt, das, wo Dein Herz so sehr dran hängt, einfach auslaufen zu lassen.

Der Skeptische: Und was ist, wenn das Konzept dann nach der Übergabe doch nicht erfolgreich weitergeführt wird?

Marianne:
Das Oberhaupt – Die Kämpferin: So einfach gebe ich das Konzept nicht auf. Das hat was, es ist nützlich und hilfreich und es gibt viele Paare, die es für ihre Weiterentwicklung brauchen können.  

Die Optimistische: Es wird schon Menschen geben, auf die das passt und die den Konzeptgedanken ausfüllen kann!

Das Organisationstalent: Alles, was für die geregelte Übergabe nötig ist, liste ich auf. Bis auf die technischen (IT) Dinge, kümmere ich mich und mache auch Vorschläge für einen geordneten Übergang.

Die Helmut Versteherin: Ich möchte, dass es Dir gutgeht und Du Dein Leben endlich mit den Inhalten verbringen kannst, die Dir guttun. Nur den Endspurt von PowerPaare, den müssen wir noch zusammen hinkriegen.

Nachdem jeder von uns sein Oberhaupt und die anderen Teamkollegen hat zu Wort kommen lassen und wir in den Austausch gegangen sind, einigten wir uns auf folgendes: Helmut wurde klar, dass er Mariannes Wünsche und Pläne das Konzept in andere Hände zu geben, unterstützen wollte, so gut es ihm kräftemäßig möglich ist. Es wurde verabredet, dass er sich meldet und Veto einlegt, wenn es ihm zu viel wird.

Er war bereit, die Recherche abzuwarten und die Vorschläge anzuschauen und gemeinsam zu prüfen, wen wir warum ansprechen. Marianne versprach die organisatorischen Dinge weitestgehend zu übernehmen und nach erfolgter Übergabe ganz viel Zeit für und mit Helmut zu verbringen. (Das passiert jetzt bald 😊)

Fazit:
Eine vollständige Eintracht aller Teammitglieder ist nur in seltenen Fällen wahrscheinlich oder möglich. Und es kann durchaus passieren, dass Ihr wechselseitig nicht für jedes Oberhaupt oder jedes Teammitglied Eures Partners Verständnis habt. Aber das Durchdenken des zugrunde liegenden Systems kann dabei helfen, Entscheidungen zu treffen und notwendige Veränderungen anzugehen oder Entscheidungsfragen aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu beleuchten. Probiert es aus!

Schritte im Überblick:

  1. Konkrete Fragestellung notieren
  2. Oberhaupt und Teammitglieder „einberufen“
  3. Alle mit Zeichnung, Symbol, Schlüsselsatz darstellen
  4. Überlegen, wer anfängt
  5. In den Austausch gehen
  6. Eine einvernehmliche Lösung finden

Wer mehr zum inneren Team erfahren will, erfährt das aus folgenden Büchern:
Friedemann Schulz von Thun, Miteinander reden, Band 3: Das „Innere Team“ und situationsgerechte Kommunikation
Friedemann Schulz von Thun (Autor), Wibke Stegemann (Autor), Das innere Team in Aktion. Praktische Arbeit mit dem Modell.

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